Die Situation für die in Deutschland ansässigen Reedereien ist, ähnlich wie der Rest der Welt im Jahr 2017, überwiegend angespannt. Gegenwärtig befinden sich die deutschen Reedereien in einem Wandel. Sie konzentrieren sich mehr und mehr auf ihre Kernkompetenzen. Maritime Reporter & Engineering News "Mann in Deutschland, Peter Pospiech, sprach vor kurzem mit Alfred Hartmann, Präsident des VDR (Verband Deutscher Reeder), für seine exklusive Einblicke auf die Größe, Form und Ausrichtung der deutschen Reeder.
Herr Hartmann, im Jahr 2017 war die Situation für die deutschen Reedereien meist knapp. Was bedeutet das für die deutsche Seeschifffahrt?
Wenn es um die Marktsituation in der Schifffahrt geht, liegt der Fokus vor allem auf dem Containerverkehr - etwa Frachtraten, Fusionen und Allianzen. Es besteht kein Zweifel, dass der Containertransport ein wichtiger Teil der Branche ist - aber das ist nicht das gesamte Schifffahrtsgeschäft. Wenn die Frachtraten für den Containertransport besser werden, kann es im Tanker, Bulker oder Offshore-Schiff ganz anders aussehen. Auch in der Containerschifffahrt existieren nicht nur Linien, sondern auch viele Reeder, die ihre Schiffe an andere vermieten - und dabei momentan einer wachsenden Marktmacht der Linien entgegensehen. Das Gesamtbild aller in Deutschland ansässigen Schiffe und Eigner ist meist angespannt - insbesondere für kleinere Unternehmen. In den letzten fünf Jahren haben wir mehr als 1.200 Schiffe verloren. Diese Schiffe sind nicht vom Markt verschwunden, aber sie fahren mit günstigen Kapitalkosten fort und erhöhen dadurch den Wettbewerbsdruck. Nicht nur Arbeitsplätze an Bord werden verloren gehen, sondern auch die Arbeitsplatzverluste in den Reedereien steigen.
Wir schätzen damit, dass der deutsche Standort qualitativ hochwertiges Know-how und wirtschaftliche Bedeutung verlieren wird.
Wie beurteilen Sie diese schwierige Situation im Zusammenhang mit den wachsenden Anforderungen an den Umwelt- und Klimaschutz für Reeder?
In dieser schwierigen Situation sehen sich Unternehmen durch die steigenden Anforderungen an Umwelt- und Klimaschutz neuen Belastungen gegenüber. Wir möchten unsere Schiffe sauberer und emissionsärmer betreiben. Aber der Umweltschutz kommt nicht umsonst. Ein aktuelles Beispiel ist die Ballastwasserkonvention, die im September 2017 in Kraft getreten ist. In Zukunft müssen alle Handelsschiffe ihr Ballastwasser an Bord in speziellen Systemen behandeln. Mit diesem Mikroorganismus kann nicht mehr in fremden maritimen Gebieten Verbreitung finden.
Grundsätzlich ist es eine vernünftige Idee, aber auf Kosten mit erheblichen Investitions- und Implementierungsproblemen. Vorläufig ist die Ballastwasserkonvention die teuerste Umweltvorschrift, die die Schifffahrtsindustrie zu tragen hatte. In den kommenden Jahren wird es immer deutlicher, wenn alle Eigentümer die Investition von bis zu zwei Millionen EURO pro Schiff tragen können. Andernfalls könnte die Konvention ein unfreiwilliges Abwrackprogramm sein.
Neben sauberer Luft geht es auch um saubere Luft und weniger Treibhausgase. Deutsche Reeder schätzen, dass die Staatengemeinschaft die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) in einer Führungsrolle sieht, um das Thema Umweltschutz voranzutreiben. Wir bleiben hinter dem globalen Fahrplan der IMO zurück, nach dem alle Schiffe mit Beginn des Jahres 2019 ihre CO2-Emissionen erfassen und über die Flaggenstaaten melden. Diese werden dann zur Ableitung von Zielen und Maßnahmen genutzt - weltweit und für alle Marktteilnehmer verbindlich.
Schiffe weisen heute bereits die beste Klimabilanz im Vergleich zu allen Transportfahrzeugen auf. Es wäre ein wichtiger Beitrag des Klimaschutzes, wenn der Schwerverkehr - vor allem im europäischen Kurzstreckenseeverkehr - von der Straße auf die Schiffe verlagert wird.
In den letzten Jahren hat die Schifffahrt viel in effizientere Maschinen und modernes Schiffsdesign investiert. Durch größere und effizientere Schiffe wird der CO2-Fußabdruck von Transportgütern immer kleiner.
Um bis zum Ende des Jahrhunderts einen klimaneutralen Seeverkehr zu erreichen, muss die Schifffahrt eine weitere Innovationsoffensive in Forschung und Entwicklung, insbesondere in Bezug auf alternative Kraftstoffe und Antriebe, erhalten. Die weltweiten Regierungen müssen mit der Branche zusammenarbeiten und finanzielle Mittel bereitstellen, um die notwendige technologische Revolution durchzusetzen.
Neben dem CO2-Thema will unsere Schifffahrt auch bei anderen Luftschadstoffen mitwirken. Nach unserem Verständnis verwenden wir in unseren Behältern nur Kraftstoffe, die den gesetzlichen Vorschriften entsprechen. Es war in den 1980er Jahren, als die Bundesregierung mit einem Förderprogramm den Wechsel von Schwer- auf Dieselkraftstoff forcierte. Seit 2009 ist die Schifffahrt wieder abseits des konventionellen Schweröls unterwegs. Im Jahr 2020 wird der Grenzwert um rund 90 Prozent - und danach um 0,5 Prozent - gesenkt. In den verkehrsintensiven Bereichen der Emissionskontrolle gelten bereits strenge Schwefelgrenzwerte. Erste spezielle Bereiche existieren für Stickoxide. Mit diesen ECAs trägt die Schifffahrt dazu bei, die Belastung durch Schiffsabgase zu verringern.
Aufgrund seiner hervorragenden Umweltbilanz konzentriert sich der Schiffsverkehr mehr und mehr auf LNG.
Aber Schiffsumbauten oder Neubauten, die LNG nutzen können, sind komplex und teuer. Im Vergleich zu konventionellen Kraftstoffen wie Schiffsmotoren, Lagertanks und Versorgungsleitungen kann mit Mehrkosten von rund 20 bis 30 Prozent gerechnet werden. Deshalb schätzen wir das Support-Programm. Es hilft den deutschen Reedern, die erheblichen Mehrkosten zu tragen - und nicht zu vergessen: Es ist ein echter Gewinn für die Umwelt
Eine große Hilfe war das LNG-Unterstützungsprogramm. Welche weiteren Maßnahmen sind notwendig, um den deutschen Schifffahrtsstandort langfristig zu stärken?
Das LNG-Förderprogramm war eine der wichtigsten politischen Maßnahmen für den deutschen Schifffahrtsstandort. Dazu gehört auch die Neuausrichtung für Ausbildung und Beschäftigung. Die deutsche Flagge ist attraktiver denn je: nur um die flexiblen Vorgaben für das Crewing, die Rückerstattung an die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung und den vollen Lohnsteuerabzug zu nennen. Dazu kommt die Bildungsförderung des Schifffahrtsstandorts Deutschland, die von den Reedern bezahlt wird.
Im Zuge der Bewältigung der erheblichen Marktkrise konnten wir die Ausbildungszahlen stabilisieren und den starken Rückgang der Schiffsbeschäftigung stoppen. Mit diesen Maßnahmen soll der deutsche Schifffahrtsstandort sicherlich nicht gestärkt werden. Eine Herausforderung ist die Schiffsfinanzierung. Inländische Banken als Partner sind ausgebrochen. Deutsche Reeder suchen nach neuen Partnern im Ausland.
Die strukturellen Veränderungen auf dem Weltmarkt erfordern von der maritimen Wirtschaft ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit. Was muss Ihrer Meinung nach getan werden, um diesen Anforderungen gerecht zu werden?
Deutsche Schiffe waren schon immer global unterwegs. Aber jetzt gewinnen auch die Unternehmen an Boden - nicht nur bei der Finanzierung. Den gleichen Trend sehen wir beim Management. Große Unternehmen füllen ihre Führungspositionen viel häufiger mit ausländischen Managern. Je internationaler das Management der Reedereien positioniert ist, desto weniger hängt das Unternehmen vom deutschen Standort ab.
Auch typische deutsche Unternehmensstrukturen sind im Wandel. Projektplanung, Finanzierung, Immobilien, Charter, Crewing und Betrieb erfolgen seltener aus einer Hand.
Tatsächlich konzentrieren sich die Eigentümer auf ihre Kernkompetenzen. Deutsche Reedereien genießen bei der Bewirtschaftung von Schiffen weltweit einen guten Ruf - damit namhafte ausländische Unternehmen ihre Schiffe am deutschen Standort in Betrieb nehmen. Die Qualität stimmt, aber der Preisdruck in Deutschland ist enorm.
Die neuen erweiterten Geschäftsfelder unserer Unternehmen machen es notwendig, über weitere Entwicklungen der Sonderkonditionen nachzudenken. Dazu gehört ein erweiterter Geltungsbereich der Tonnagesteuer - etwa für Dienstleistungen im Zukunftsmarkt Offshore-Wind für das sogenannte Third-Party-Management - der Betrieb für Dritte, ohne Eigentum des Schiffes zu haben.
Schließlich braucht der Standort eine umfassende Strategie, um die Eigentümer als zentralen Teil des maritimen Clusters in Deutschland zu erhalten. Wenn wir unsere Fähigkeiten verlieren, Schiffe zu betreiben, werden wir auch sukzessive den Wert und die Innovationskraft verlieren.
Auf der anderen Seite haben wir hier in Deutschland mit der richtigen Politik große Chancen.
Denn mit dem Potenzial der Digitalisierung und der Zugehörigkeit zum Vorreiter der Green Shipping ist der Standort für den zukünftigen internationalen Wettbewerb gut aufgestellt.
Das Deutsche Maritime Zentrum und die Digital Hub Logistic in Hamburg sowie das Maritime Competence Center MARIKO in Leer sind nur einige Beispiele für viele unserer starken maritimen Cluster. Wir müssen unser Know-how unserer Reedereien, der Universitäten und Forschungseinrichtungen sowie der anderen maritimen Stakeholder in Kooperation stärken. Der politische Rahmen muss weiter angepasst werden. Mit all dem werden Reedereien in Deutschland in Zukunft erfolgreich sein und Arbeitsplätze und Wert sichern.
Die maritime Wirtschaft hat gerade ein Krisenjahrzehnt hinter sich gelassen. Wann holt die Wirtschaft aus Ihrer Sicht auf?
Die Reedereien leisteten einen wichtigen Beitrag von der Angebotsseite. Immer mehr ältere Schiffe werden verschrottet. Relativ wenige neue Schiffe wurden kürzlich bestellt, besonders kleinere Einheiten. Wir stellen fest, dass Frachtraten in den letzten Monaten etwas besser geworden sind. Ob das ausreichen wird, werden wir sehen. Aber die Tendenz ist da.
(Wie in der Mai 2018 Ausgabe von Maritime Reporter & Engineering News veröffentlicht )